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Theodor Fontane
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Ausgang

Immer enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.





Gertraud Lehmayer

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Auf den Punkt gebracht


Oft sind es die ganz leisen, schlichten Worte, die am tiefsten gehen. Diese sechs Zeilen bringen, wie kein anderes mir bekanntes Gedicht unserer Sprache, in des Wortes wörtlicher Bedeutung die ganze Erfahrung unserer Endlichkeit "auf den Punkt".

Ganz leise und unspektakulär vergeht zuerst aller äußere Glanz, aber auch alles, was wir für so wesentliche Gefühle halten: Die Hoffnung, die angeblich zuletzt stirbt, der Hass, der aus enttäuschten Hoffnungen und den damit oft verbundenen Demütigungen erwächst, ja, sogar das, was wir für Liebe halten. Verschwindet also wie bei der Zwiebel, deren Schalen abgelöst werden, letztlich alles, bleibt am Ende gar nichts mehr übrig? Nur die große Leere? - Da bleibt der Blick auf einen Punkt. - Genau genommen können wir einen Punkt überhaupt nicht anblicken, da er die "nullte" Dimension darstellt. Unser Bewusstsein kann sich ihm nur nähern, indem wir ihn uns als Grenzwert denken, wo das unendlich Kleine uns den Begriff von Unendlichkeit und Ewigkeit schlechthin ahnen lässt.

Ist der "letzte dunkle Punkt" der Endpunkt von allem? Oder gibt es Wirklichkeiten jenseits unserer Sinneserfahrung? Fontane lässt die Frage unbeantwortet. Die Kreise unserer Lebens- und Wirkungsmöglichkeiten schließen sich, ihr Radius geht immer mehr gegen Null, zum Mittelpunkt, wo entweder das Geistige als von Raum und Zeit unabhängige Wirklichkeit erfahrbar wird - oder alles Bewusstsein, alle Erfahrung aufhören. Sobald wir den Punkt erreicht - und vielleicht durchschritten - haben, werden wir es wissen, wenn der Geist tatsächlich weiter existiert.



Das besprochene Gedicht ist zum Beispiel veröffentlicht in: Karl Otto Conrady, Das große deutsche Gedichtbuch, 2. Aufl. der 2. Ausgabe, 1992 (1991), S. 367, Artemis & Winkler, ISBN: 3-538-06634-5.

Der Verfasser des Gedichts ist Theodor Fontane (1819 -1898).

Die Rezensentin Gertraud Lehmayer lebt in Heilbronn.



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