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Erich Kästner
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Sachliche Romanze


Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.

Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.

Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.



Hinweis: Dieses Gedicht wird hier im Rahmen eines selbständigen Sprachwerks zitiert (§ 51 UrhG).  Weitere Infos




Jennifer Hilgert

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Das Gedicht als liebeserhaltende Maßnahme


Es sind vier Strophen voller Schwermütigkeit und Trauer. Über ein Paar, das sich offensichtlich schon lange kennt (man erfährt, dass es acht Jahre sind) und auch einen gemeinsamen Weg verfolgte. Offenbar hat sich die Zuneigung mit der Zeit gewandelt. Man hat sich auseinander gelebt und offensichtlich nicht mehr viel zu sagen, obwohl das Gedicht diese Leere und "das Nichts" in diesen nicht wenigen Zeilen beschreibt.

Das Paar ist betrübt darüber, dass es sich in dieser Situation befindet, will es nicht wahrhaben, versucht darüber hinweg zu täuschen. Sie trauern um ihre Liebe. Das Oxymoron 'Sachliche Romanze', das die Überschrift begründet, zeigt, dass die liebliche unbeschwerte Art des Paares, einem sachlichen und klärenden Moment und Augenblick gewichen ist, der noch anhalten wird.

Man fühlt mit dem lyrischen Wir und wünscht ihm, dass sie es doch noch schaffen, ihre Zweisamkeit aufrecht zu erhalten. Leider besteht wenig Hoffnung.

Dieses Gedicht ist für mich eine liebeserhaltende Maßnahme und lässt mich an dem festhalten, was mir wichtig ist. Das Gedicht sagt mir, dass eine Beziehung zu einem Menschen, nicht nur in einer Partnerschaft, mit einem stetigem Tun verbunden ist, das es wert sein sollte und in einer immerwährenden Reflektion überprüft werden sollte.

Trotzdem ist genau das auch der Lauf der Dinge. Das ist es, was mit Vergänglichkeit gemeint ist: Liebe und Werte kommen abhanden, sie hinterlassen aber immer Spuren und Narben in unserem Herzen, die uns Menschen wachsen lassen, um in anderen und neuen Situationen zu bestehen.



Das besprochene Gedicht ist zum Beispiel veröffentlicht in: Karl Otto Conrady, Das große deutsche Gedichtbuch, 2. Aufl. der 2. Ausgabe, 1992 (1991), S. 495, Artemis & Winkler, ISBN: 3-538-06634-5.

Der Verfasser des Gedichts ist Erich Kästner (1899-1974).

Die Rezensentin Jennifer Hilgert ist gelernte Erzieherin, lebt und schreibt in Karlsruhe. Als Studentin der Pädagogik und Germanistik geht sie nebenberuflich ihrer Leidenschaft, dem Gedichteschreiben, nach. Das Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern wäre ihr großer Traum.



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